Führen mit Prozessen

Prozessdefinition, Prozessanalyse, Prozessoptimierung, Prozesssicherheit, Prozessgestaltung: Diese und viele andere Schlagworte sind fest verbunden mit der Arbeit rund um Verlagsprozesse. Die Begriffe repräsentieren häufig mühselige und langwierige Sitzungen, in denen Prozesse in Einzelschritte zerlegt und Details definiert werden. Im besten Fall wird aufs Genaueste festgelegt, wer, wann was zu liefern hat. Insgesamt ein aufwändiges, häufig auch nervenaufreibendes Projekt, für das Verlagsmitarbeiter, Teamleiter und Verlagsleitung viel Geduld und Ausdauer aufbringen müssen. Die Flüche und emotionalen Ausbrüche nach solchen Sitzungstagen sind einschlägig und bekannt.

Natürlich gibt es auch eine Definition für Prozesse im Allgemeinen. Ein Prozess ist nach DIN-Norm, ein Satz von in Wechselbeziehung oder Wechselwirkung stehenden Tätigkeiten, die Eingaben in Ergebnisse umwandelt. So weit, so klar. Tatsächlich sind Prozesse weit mehr als die auf Papier respektive im Computer konstruierten Input-Output-Modelle, die dort durch Kästchen und verbindende Linien symbolisiert sind.

Eine gut konzipierte Prozessarchitektur ist wie ein effizientes Straßen- oder Bahnnetz, das schnelle, präzise und zuverlässige Fortbewegung erlaubt. Prozesse sind gleichsam die Verankerungen in unserem arbeitsteiligen Verlagsalltag, die Zusammenarbeit erst ermöglichen und auch vereinfachen können. Klare, fachlich passende Zuordnung von Verantwortlichkeiten und Kompetenzen in vordefinierten Abläufen führen nicht nur zu effizienten Ergebnissen. Sie sorgen auch dafür, dass letztlich Verhalten und Leistungen von Kollegen, Mitarbeitern und Managern zuverlässig antizipiert werden und dass Verbindlichkeit kommuniziert und gelebt wird. Damit ist Prozessgestaltung eine einzigartige Gelegenheit, um ein konkretes Verständnis für die verlagsinterne Zusammenarbeit, aber auch für Zusammenarbeit mit Dienstleistern und Kunden zu entwickeln. Vorausgesetzte, eingeforderte und angebotene Leistungen von Abteilungen oder Einzelnen werden offen gelegt, abgestimmt und für die Zukunft vereinbart. So können die jeweiligen Arbeitsergebnisse von Verlagsprozessen in Bezug auf Qualität, Quantität und Zeit übergreifend in Einklang gebracht werden.

Wie erfolgsversprechend das ist, zeigt eine ganz andere Branche. Wenn man sich moderne Fußballspiele ansieht, dann spiegeln sich dort die wesentlichen Faktoren von erfolgreichem Prozessmanagement wieder. Einerseits zeigen sich die klare Zuordnung von Verantwortlichkeiten und die hochspezifische Qualifikation der Mitspieler für die definierten Aufgaben im „Prozess“. Und andererseits kann man deutlicher denn je vordefinierte, komplexe Abläufe beim Passspiel beobachten. So sind beispielsweise Laufwege im Vorfeld vereinbart, trainiert und automatisiert worden. Selbst Alternativen und Varianten sind vordefiniert und trainiert, die entsprechenden Entscheidungsmöglichkeiten sind im Vorfeld begrenzt und besprochen und werden im Spiel antizipiert, in Bruchteilen von Sekunden abgerufen und als automatisierte Prozesse (hier Kombinationen) erfolgreich abgespult. Die individuelle Leistung zeigt sich – nahezu ausschließlich – im vordefinierten Rahmen der vereinbarten Abläufe.

Prozesse, so wird häufig eingewendet, verhindern individuelle Kreativität und Initiative und verhindern die Entwicklung von Talenten. Prozesse führen mittelfristig zur Erstarrung oder Verkrustung. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall, richtig eingesetzt führen Prozesse zu herausragenden Ergebnissen. Sie dienen als Führungsinstrument, ermöglichen motiviertes eigenverantwortliches Arbeiten und entwickeln, fruchtbare Kooperationen zwischen den Beteiligten. Damit Prozessgestaltung diese Wirkung entfalten kann, müssen einige Rahmenbedingungen beachtet werden.

Prozesse sind insbesondere geeignet die Frage „Wie machen wir das?“ zu beantworten.

Das heißt erstens, dass im Vorwege, bevor Prozesse entwickelt oder verändert werden, das jeweilige Prozessziel geklärt wird: Wie leitet es sich vom übergeordneten Ziel des Verlages ab? Welche Auswirkungen soll der Prozess auf Leser, Kunden und Beteiligte (interne und externe) haben?

Zum Zweiten erfordert gelungene Prozessgestaltung den aktiven Einbezug der Beteiligten. Nicht nur aus Gründen der Motivation und Transparenz, sondern insbesondere wegen dem vorhandenen Wissen um Kundenbedürfnisse und um kreative Lösungsansätze, und wegen der langjährigen Erfahrung und der fachlichen Expertise. Darüber hinaus legt die weitreichende Beteiligung im Verlag den Grundstein für die Verbindlichkeit der zu gestaltenden Prozesse. Die Arbeit an Prozessen ist umso erfolgsversprechender, je offener und konstruktiver die Atmosphäre ist, in der sie stattfindet. Dafür kennzeichnend ist eine wertschätzende, transparente und vertrauensvolle Kommunikation, auch und insbesondere im Vorfeld der Prozessgestaltung.

Die dritte Rahmenbedingung ist im Hinblick auf die Führungsfunktion von Prozessen und deren Umsetzbarkeit nicht zu unterschätzen. Es geht um die „angemessene Detailtiefe“. Sie ist abhängig vom Umfeld, von individuellen Fähigkeiten der Beteiligten, vom Kooperationswillen, von der fachlich notwendigen Präzision, von Dokumentationspflichten und von der Komplexität der jeweiligen Teilaufgabe, um nur einige Faktoren zu nennen. Hier ist viel Augenmaß und auch eine kritische Außensicht erforderlich. Denn wenn Prozesse zu eng gefasst werden, dann wird der Aufwand für deren Definition schnell unverhältnismäßig groß, die Prozessbeschreibungen werden unverständlich und sind nicht mehr handhabbar. Die Beteiligten fühlen sich bevormundet und in Ihren Kompetenzen beschnitten. Sind die Beschreibungen andererseits zu weit gefasst, gewinnen die Prozesse an Beliebigkeit, werden schnell ignoriert und schließlich nicht mehr beachtet. In beiden Fällen verlieren Prozesse ihren Wert für die Zusammenarbeit und für die Führung des Verlages.

Viertens: Ausgehend von einem systemischen Organisationsverständnis, das die Kommunikation von Entscheidungen als zentrale Operation von Organisationen betrachtet, werden Führungsebenen und Mitarbeiter durch die gelungene Gestaltung von Prozessen entlastet, da in Ihnen Entscheidungsprämissen hinterlegt werden, die es Mitarbeitern ermöglicht im Rahmen dieser Prämissen eigenverantwortlich und selbstständig Entscheidungen zu treffen und die eigene Arbeit auszugestalten.

Eine fünfte Rahmenbedingung für die Verbindlichkeit von Prozessgestaltung ist die regelmäßige Überprüfung von Kundenanforderungen, Beobachtung der Prozessumsetzung und damit die regelmäßige qualitative Verbesserung der Prozesse im Hinblick auf Kunden und/oder Mitarbeiter. Dadurch werden Prozesse nicht nur einfach abgearbeitet, sondern sie aktualisieren stetig ihre Bedeutung für eine verbindliche Zusammenarbeit.

Wenn diese fünf Rahmenbedingungen erfüllt sind, dann gelingt es Prozesse als Führungsinstrument zu implementieren, mit spannenden Folgen für den Verlag:

  • Aufhebung der Paradoxie von Flexibilität und Standardisierung, da durch effiziente, sich selbst erneuernde Prozesse Ressourcen gewonnen werden, die für Neuerungen genutzt werden können.
  • Die regelmäßige Anpassung von Prozessen sorgt für hinreichende Flexibilisierung des Standards.
  • Hierarchien können sehr flach gehalten werden, da Mitarbeiter selbstverantwortlich und selbstverpflichtend den Prozessen folgen und die entsprechenden Entscheidungsspielräume nutzen.
  • Verbesserte Identifikation der Beteiligten mit dem Verlag durch Gestaltungsspielräume innerhalb der Prozesse und durch Gestaltungsspielräume bei der Prozessgestaltung selbst.

Prozessanalyse, Aufnahme von Ist-Prozessen und Entwicklung von Soll-Prozessen, die Definition von Prozessverantwortlichen, die Definition von Haupt- und Teilprozessen, das alles klingt in den Ohren von Verfechtern von „Home Offices“, den selbsternannten Sprechern der Generation Y oder andern Flexibilisierungstheoretikern und Motivationskünstlern zunächst verstaubt. Und richtig, Prozessarbeit ist mithin mühsam, erfordert Geduld und Disziplin. Aber wenn wir unsere Perspektive verändern und Prozesse als Führungsinstrument begreifen und wie oben beschrieben das richtige Maß finden, dann verlieren Beteiligte und Verlage ihre Unsicherheit und ihre Abhängigkeit von Entscheidungen einzelner und gewinnen Flexibilität, Kundenorientierung und sinnhafte Handlungs- und Gestaltungsspielräume.

Gelungene Prozessgestaltung im Verlag


Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im Newsletter von Heinold, Spiller & Partner